Dehnen - Wann und wie strechtst du deinen Körper richtig
Dehnen ist ein viel diskutiertes Thema in der Fachliteratur. Unterschiedliche Studien haben über die Jahre ein sehr diverses und komplexes Bild von Dehnübungen geschaffen, was Übungsausführungen und -effekte angeht. So konnte etwa ein verletzungspräventiver Effekt von statischen Dehnübungen vor einer Belastung nicht bestätigt werden und auch die Mechanismen hinter einer Verbesserung der Beweglichkeit sind weiter unklar. Nichtsdestotrotz gibt es aus der Sportpraxis im Spitzensport klare Indikatoren für den gezielten Einsatz von Dehnübungen zu verschiedenen Zeitpunkten.
Wie dehne ich richtig und wozu?
Da in sportwissenschaftlichen Untersuchungen meist erst Jahre oder Jahrzehnte später der Grund für den Erfolg einer bestimmten Methode gefunden wird, ist es im Sport oft ratsam, den Handlungsvorgaben von Experten aus der Praxis zu folgen. Aber Vorsicht: Ein Experte ist jemand, der jahrelange und erfolgreiche Arbeit im Spitzensport nachweisen kann und nicht derjenige, der mit seinen Trainingstipps die meisten Youtube Follower erreicht.
Verschiedene Methoden und Anwendungsgebiete
Grundlegend dient Dehnen vor allem der Verbesserung von Beweglichkeit und Mobilität, sowie einer Verbesserung der Belastbarkeit unter Dehnung. Diesen Effekt erreichst du am besten über das statische Dehnen, passives Dehnen oder Anspannungs-Entspannungs Dehnen. Ein weiterer Aspekt des Dehnens ist jedoch die Bewegungsvorbereitung. Gerade vor Belastungen, die ein hohes Bewegungsausmaß mit sich bringen, aber auch um eine generelle Vorbereitung des Bewegungsapparates zu gewährleisten. Für diesen Fall bietet sich ein leichtes dynamisches Dehnen an, am besten in Kombination mit Mobilitätsübungen für die betroffenen Gelenke.
Statisches Dehnen | |
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Wozu? | Verbesserung der Beweglichkeit |
Wie? | Dehnposition in Maximalposition (maximale Dehnung) halten (i.d.R. 1-2 min) |
Wann? | Eigene Trainingseinheit oder nach moderatem Training |
Passives Dehnen | |
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Wozu? | Verbesserung der Beweglichkeit |
Wie? | Partner oder Therapeut dehnt die Struktur/ den Muskel passiv, Dehnposition werden teilweise gehalten und teilweise mit leichter Bewegung erweitert |
Wann? | Eigene Trainingseinheit oder nach moderatem Training |
Dynamisches Dehnen | |
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Wozu? | Bewegungsvorbereitung von Muskeln, Sehnen und Bändern |
Wie? | Wippende Bewegungen in einer leichten Dehnung ausführen (ca. 30 Sekunden pro Muskelgruppe), ggf. anschließend kontrollierte Bewegungen über das gesamte Bewegungsausmaß ausführen |
Wann? | Vor dem Training durchführen |
Anspannungs-Entspannungs Dehnen | |
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Wozu? | Verbesserung der Beweglichkeit |
Wie? | Alleine oder mit Partner möglich, Dehnposition halten (1-2 min) und dabei etwa alle 10 Sekunden kurz den Gegenspieler der gedehnten Muskulatur anspannen und wieder locker lassen, um die Dehnposition zu erweitern, mit Partner: Aktive Belastung des Gegenspielers durch den Partner mit anschließendem passiven Stretch |
Wann? | Eigene Trainingseinheit oder nach moderatem Training |
Mobilitätsübungen | |
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Wozu? | Keine Dehnübung aber gut kombinierbar, als Bewegungsvorbereitung |
Wie? | Bewegung zunächst einzelner, im Verlauf mehrerer Gelenke im gesamten Bewegungsausmaß, zunächst ohne Last (z.B. Kreisen des Fußgelenks, der Knie, der Hüfte etc.), im Verlauf auch mit Last (z.B. Wippen von Hacke auf Zehen, Kreisen der Schulter mit aufgestützten Handgelenken etc.) |
Wann? | Vor dem Training oder als eigene Trainingseinheit (Mobility Flows), viel in Trainingsformaten wie Yoga enthalten |
Wie verbessere ich meine Beweglichkeit?
Eine Verbesserung der Beweglichkeit ist für fast jeden Menschen erstrebenswert. Um eine Verbesserung der Beweglichkeit zu erzielen, ist es sinnvoll, eine Mischung aus Mobilitätsübungen und statischen Dehnübungen regelmäßig durchzuführen, sowie vor dem Sport ein adäquates Aufwärmprogramm einzusetzen, das auch dynamische Dehnübungen beinhaltet.
Häufiges Sitzen löst einen mechanischen Reiz aus, der unsere Hüftbeweglichkeit nach und nach einschränkt. Hinzu kommen ungünstige Haltungen und einseitige Bewegungen im Sport und Alltag.
Wann sollte ich mich am besten Dehnen?
Ein Dehnprogramm zur Verbesserung der Beweglichkeit setzt du am besten sehr regelmäßig und unabhängig von anderen Aktivitäten ein. Ein tägliches 15 Minuten Programm wird dich weiter bringen, als ein wöchentliches Programm über eine Stunde.
Vor dem Sport: Dynamische Dehnübungen zur Vorbereitung von Muskeln, Sehnen und Bändern (vor allem bei azyklischen Bewegungen wie im Ballsport, Kraftsport, Kampfsport usw.)
Dehnen mit Muskelkater oder Verspannungen
Bei Muskelkater | Bei Verspannungen |
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Bei starkem Muskelkater auf statisches Dehnen verzichten | Nach eigenem Wohlbefinden handeln |
Folge: Das “Ziehen” an der Muskulatur verlängert den Regenerationsprozess und verschlimmert so den Muskelkater | Folge: Manche Dehnübungen können bei Verspannungen wohltuend sein, manche können die Schmerzen verschlimmern. Probieren und dosieren! |
Verletzungen vorbeugen
Auf lange Sicht schützt dich regelmäßiges Dehnen vor dem Sport vor Verletzungen.
Eine unmittelbare Verletzungsprophylaxe durch Dehnen vor dem Sport ist zwar nicht nachgewiesen, allerdings wird dir jeder Turner bestätigen, dass diese Sportart nicht durchführbar ist, ohne die Gelenke vorher zu mobilisieren und die Muskeln zu dehnen. Dass ein langfristiges Verbessern der Beweglichkeit durch regelmäßiges Dehnen Verletzungen vorbeugt ist allerdings unstrittig. Daher solltest du das Dehnen konsequent und dauerhaft als Bestandteil deines Trainings einsetzen. Gerade Sportarten wie Laufen (Hier findest du unsere kostenlosen Laufpläne) und Ballsportarten nutzen nur einen sehr geringen Anteil des möglichen Bewegungsausmaßes und belasten den Körper sehr einseitig. Somit fördern sie sowohl Beweglichkeitseinschränkungen, als auch muskuläre Dysbalancen, denen du mit Dehnen und Krafttraining entgegenwirken solltest.
Wie intensiv und wie oft?
Vor dem Sport grundsätzlich dynamisch zu dehnen und nach dem Sport (bei moderater Belastung) ein kurzes statisches Dehnprogramm anzuschließen ist ein guter Anfang. Sinnvoll ist es zumindest jeden zweiten Tag eine Dehnroutine für den gesamten Körper durchzuführen.
Diese muss nicht lang sein, aber regelmäßig und konsequent durchgeführt werden. Besser täglich 15min als einmal pro Woche eine Stunde. Im statischen Dehnen zur Verbesserung der Beweglichkeit solltest du jeder Muskelgruppe 1-2 min widmen und in einen spürbaren, aber gut aushaltbaren Dehnschmerz arbeiten.
Dehnübungen für Muskelgruppen
Die hier gesammelten Übungen zielen auf die am häufigsten “verkürzten” Muskelgruppen ab in der Reihenfolge von unten nach oben. Du kannst sie als Vorlage für eine tägliche Dehnroutine nutzen:
Stehender Wadenstretch gestreckt
Betroffene Muskelgruppe: Waden
Ausführung:
- Hände auf Schulterhöhe vor dem etwa 45° vorgeneigten Oberkörper gegen eine Wand stützen
- Linkes Bein eingebeugt unter den Körperschwerpunkt stellen
- Rechtes Bein in Verlängerung des Rückens gestreckt hinter dem Körper aufstellen
- Ferse des rechten Beines aktiv in Richtung Boden drücken, gleichzeitig das Becken nach vorne schieben, sodass eine Dehnung der Wade entsteht
- Ist die Ferse am Boden, aber keine Dehnung spürbar, setze deine Hände tiefer auf, beuge den Oberkörper weiter vor und stelle das rechte Bein weiter nach hinten
- Führe diesen Stretch auf beiden Seiten durch
Langsitz
Betroffene Muskelgruppen: Oberschenkel Rückseite, Hüftstrecker, Rückenstrecker
Ausführung:
- Setze dich flach auf den Boden, die Beine gestreckt und geschlossen
- Lehne nun den Oberkörper so weit wie möglich nach vorne, ohne dass die Beine dabei eingebeugt werden
- Halte diese Position, indem du dich an deinen Unterschenkeln oder den Fußspitzen festhältst
- Atme flach ein und aus und versuche mit jedem langen Ausatmen den Oberkörper etwas tiefer zu bekommen
Tipp: Bei dieser Dehnübung kann es helfen ein Handtuch zu verwenden, um dieses an je einem Ende mit einer Hand zu halten, während die Mitte um die Fußsohlen geschlungen ist. So kannst du dich etwas tiefer in die Dehnung ziehen, wenn du noch nicht an deine Zehen kommst.
Langsitz gegrätscht / Pancake Stretch
Betroffene Muskelgruppen: Oberschenkel Rückseite, Abduktoren
Ausführung:
- Setze dich wieder flach mit gestreckten Beinen auf den Boden, dieses Mal jedoch mit gegrätschen Beinen (so weit wie möglich)
- Versuche nun den Oberkörper in Richtung Boden zwischen den Beinen abzulegen
Tipp: Bei diesem Stretch ist es sinnvoll wenn ein Partner durch leichtes Drücken gegen den Rücken nachhilft.
Kniender Couchstretch
Betroffene Muskelgruppen: Oberschenkel Vorderseite, Hüftbeuger
Ausführung:
- Begib dich in eine halb kniende Position mit dem rechten Knie am Boden und dem linken Fuß aufgestellt
- Alle Beinwinkel sollten etwa 90° betragen
- Nun greifst du deinen rechten Fuß mit der rechten Hand, ziehst ihn zum Po, richtest den Oberkörper auf und schiebst die Hüfte nach vorne
- Es ist erlaubt sich mit der freien Hand während der Übung festzuhalten und zu stabilisieren. Führe diese Dehnübung auf beiden Seiten durch
90 / 90 Stretch
Betroffene Muskelgruppe: Abduktoren
Ausführung:
- Setze dich auf den Po und lege das rechte Knie mit angewinkeltem Bein vor dir ab
- Das linke Knie legst du angewinkelt links von dir ab
- Alle Beinwinkel sollten nun 90° betragen
- Versuche nun den Oberkörper auf dem rechten Oberschenkel abzulegen, sodass sich dein Kinn direkt vor dem Knie befindet
- Führe diese Dehnübung auf beiden Seiten durch
Latissimus Stretch im Türrahmen
Betroffene Muskelgruppe: Latissimus
Ausführung:
- Stelle dich vor die rechte Seite eines Türrahmens und greife mit der rechten Hand in Schulterhöhe um die hintere Seite des Rahmens
- Beuge nun den Oberkörper vor und schiebe das Gesäß nach hinten, bis sich Hüfte, Schulter und Hand des rechten Armes in einer Linie befinden
- Du hängst nun etwas an der rechten Hand
- Greife nun mit deiner linken Hand vor dem Körper deinen rechten Oberkörper und schiebe dadurch die rechte Schulter etwas weiter nach rechts
- Dadurch solltest du einen deutlichen Stretch an der rechten Körperseite unterhalb der Schulter spüren
- Führe diese Dehnung auf beiden Seiten durch
Bruststretch an der Wand
Betroffene Muskelgruppe: Brust
Ausführung:
- Stelle dich mit der rechten Körperseite dicht an eine Wand
- Der rechte Fuß steht etwas weiter vorne als der Linke
- Positioniere nun die rechte Hand mit der Handfläche etwas über Schulterhöhe mit gestrecktem Arm hinter dem Körper an der Wand
- Drehe die Schulter nach links um eine Dehnung der Brustmuskulatur und der Armbeuger zu erzeugen
- Führe diese Dehnung auf beiden Seiten durch
Häufige Fragen und Antworten
Neben der damit einhergehenden verbesserten Beweglichkeit und Mobilität dient Dehnen vor dem Sport der Bewegungsvorbereitung. Werden die Muskeln ausreichend auf bestimmte Bewegungen vorbereitet, sinkt das Risiko einer muskulären Verletzung.
Bei einem Muskelkater sollte auf statisches Dehnen verzichtet werden. Durch den Zug auf die Muskeln wird der Regenerationsprozess verlängert und der Muskelkater somit eher noch verschlimmert.
Trotz dessen spricht bei Muskelkater nichts gegen eine Mobilisierung des Körpers.
Am besten regelmäßig. Es ist deutlich effektiver, wenn du jeden zweiten Tag eine kürzere Dehn-Routine verfolgst als wenn du dich 1 Mal die Woche ausgiebig dehnst. Außerdem solltest du vor dem Sport deine Muskeln dynamisch dehnen, um sie auf die Belastung vorzubereiten und deine eigene Leistungsfähigkeit zu steigern.